Arbeitsmarktorientierung als Leitstern

Auch in Zukunft sollen die Unternehmen des Bauhauptgewerbes auf versierte und gut ausgebildete Fachkräfte zählen können. Der SBV hat dafür ein Massnahmenpaket ausgearbeitet.  


Wie beurteilen Sie die Fachkräftesituation im Bauhauptgewerbe? 
Gian-Luca Lardi: Genügend und gut qualifizierte Fachkräfte sind für Bauunternehmer ein zentraler Erfolgsfaktor, der wegen sinkender Lernendenzahlen und vieler anstehender Pensionierungen allerdings stark gefährdet ist. Diese Entwicklung ist vor dem Hintergrund einer stetig steigenden betrieblichen Nachfrage nach Kaderleuten zu betrachten. Als Verband engagieren wir uns hier seit Jahren sehr stark, diese bleibt aber auch für die nahe Zukunft eine unserer Prioritäten. 

Worin besteht der Handlungsbedarf für den SBV? 
Wir sind gefordert, die Attraktivität der brancheneigenen Aus- und Weiterbildung und damit der gut entlöhnten Baukarriere weiter zu erhöhen und sie noch stärker bekannt zu machen. Andererseits arbeiten wir intensiv an den Grundlagen für die Modernisierung der Aus- und Weiterbildung. 

Welche Rolle kommt dem SBV in der Aus- und Weiterbildung zu? 
Als so genannte Organisation der Arbeitswelt (OdA) ist der SBV für die Definition der Bildungsinhalte und der nationalen Qualifikationsverfahren, sowohl bei der beruflichen Grundbildung als auch der höheren Berufsbildung, zuständig. Ebenso gehört die Entwicklung neuer Bildungsangebote dazu. Als Mitglied der Dachverbände der Wirtschaft SGV und SAV engagieren wir uns überdies auf höchster politischer Ebene für gute Rahmenbedingungen und die Stärkung der Berufsbildung auf Bundes- und Kantonsebene. 

Welches sind die Grundsätze, nach denen der SBV agiert? 
Wir setzen auf eine konsequente Arbeitsmarktorientierung; sie ist zentraler Erfolgsgarant für eine erfolgreiche Aus- und Weiterbildung. Dies bedeutet, dass sich die Anforderungen und Inhalte der einzelnen Abschlüsse am aktuellen und künftigen Bedarf unserer Mitglieder, der Bauunternehmen, orientieren müssen.  
«Unsere Ausbildungsstätten machen einen Super-Job»

Sie betonen die Unternehmerorientierung der Berufsbildung. Wie arbeitet der SBV im Bereich der Berufsbildung mit den Ausbildungsstätten zusammen? 
Mit dem Masterplan «SBV-Berufsbildung 2030» hat der Zentralvorstand Ende 2018 ein Projekt ins Leben gerufen, mit dem der SBV die Aus- und Weiterbildung der Branche in die Zukunft führen wird. Neben den Unternehmern als Besteller der beruflichen Qualifikationen sind selbstverständlich auch die Ausbildungsstätten der Branche als Dienstleister involviert. Ihre Anliegen nehmen wir sehr ernst, allerdings sollen auch für die Ausbildungsstätten die Bedürfnisse unserer Mitglieder stets zuvorderst stehen. 

Was erwarten Sie von den Ausbildungsstätten? 
Unsere Ausbildungsstätten machen einen Super-Job. Die Entwicklung der nötigen Kompetenzen bei den angehenden Fachkräften geschieht zwar in erster Linie im Betrieb und auf der Baustelle, das heisst in konkreten Arbeitssituationen. Die Ausbildungsstätten aber ergänzen die Praxiserfahrung mit der Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten. In diesem Bereich verfügen sie über wertvolle Erfahrung und leisten einen essenziellen Beitrag zur Modernisierung der Aus- und Weiterbildung. Der SBV setzt alles daran, dass die Ausbildungsstätten ihre Stärken ausspielen können. 

Wo sehen sie neben der inhaltlichen Entwicklung das grösste Potential zur Optimierung der Aus- und Weiterbildung? 
Eine konsequente Arbeitsmarktorientierung spiegelt sich nicht nur in Bildungsinhalten. Auch die Rahmenbedingungen für die Aus- und Weiterbildung müssen bewusster auf die Bedürfnisse der Unternehmer ausgerichtet werden. Unser Ausbildungssystem soll effizienter und wirksamer werden. 

Wie profitieren die Unternehmer konkret von einer Anpassung des Bildungssystems? 
Die Unternehmen sollen grössere Sicherheit erhalten in Bezug auf die Kompetenzen frisch qualifizierter Fachkräfte. Dafür stehen bekannte und bewährte Mittel zur Verfügung, wie die schweizweite Standardisierung von Prüfungen im Bereich der höheren Berufsbildung. Dies ist beispielsweise beim Vorarbeiter und beim Bauführer heute noch nicht der Fall. 

Wenn unsere Branche zudem attraktiver für Quereinsteiger wird, können Unternehmen auf einen grösseren Rekrutierungspool zurückgreifen. Ein Lösungsvorschlag ist, den Zugang zu unseren Kaderprüfungen konsequent zu öffnen und dafür keinen brancheneigenen Abschluss mehr zu verlangen. Zugelassen wird, wer über relevante Arbeitserfahrung in der Branche verfügt. Der Einstieg in die Baukarriere soll also nicht mehr zwingend über den Maurerberuf erfolgen. 

Wie begegnet der SBV der Heterogenität der Bedürfnisse einerseits zwischen Landesteilen und andererseits zwischen Betrieben unterschiedlicher Grösse? 
Wir sind gefordert, eine Überladung der Aus- und Weiterbildung zu verhindern, um an Effizienz zu gewinnen. Die Berufsabschlüsse sind deshalb schlank zu gestalten, so dass sie den Kern der gemeinsamen Bedürfnisse unserer Betriebe treffen.
  
Der Heterogenität können wir begegnen, indem ausserhalb der formalen Bildung bedarfsorientiert Vertiefungswissen oder Spezialisierungen erworben werden können. Dies würde zudem den Ausbildungsstätten erlauben, ihre individuellen Stärken weiter auszubauen und mit Zusatzangeboten auf spezifische Bedürfnisse der Unternehmen in ihrem Einzugsgebiet zu reagieren. 

Wie beurteilen Sie die viel gescholtene Akademisierung der Arbeitswelt und ihre Auswirkungen auf die Baubranche? 
Wer eine Berufslehre oder eine höhere Berufsbildung in der Baubranche durchlaufen hat, ist begehrt auf dem Arbeitsmarkt und findet Arbeit. Im Gegensatz dazu haben Hochschulabsolventen höhere Hürden zu überwinden, um in der Arbeitswelt Fuss zu fassen. Die Statistiken sind gnadenlos: wo die Quote von Hochschulstudenten sehr hoch ist, ist die Jugendarbeitslosigkeit klar höher. 

Wie andere Branchen steht aber auch die Bauwirtschaft vor einer zunehmenden Tertiarisierung, was für uns bedeutet, dass wir einerseits die höhere Berufsbildung dringend stärken müssen, um genügend höhere Kader ausbilden zu können. Andererseits sind wir gefordert, Kooperationen mit den Hochschulen anzustreben und den Austausch zwischen der höheren Berufsbildung und den Ingenieursausbildungen gewinnbringend und gezielter zu fördern. Akademisierungstendenzen können wir also proaktiv auf verschiedenen Ebenen entgegentreten, nicht zuletzt auch durch unser politisches Engagement.  

Wann ist die Aus- und Weiterbildung der Branche soweit, dass sie fit für die Zukunft ist? 
Ich stelle fest, dass die Entwicklung der Bildung neben einem inhaltlichen auch ein emotionales Thema ist. Die beruflichen Identitäten in unserer Branche sind entlang der bekannten Baukarriere vom Maurer bis zum Bauführer oder Baumeister gewachsen. Und genau dieser Karrierepfad wird nun inhaltlich wie auch systemisch unter die Lupe genommen; das weckt Emotionen. Nichtsdestotrotz wäre es fahrlässig, wenn der SBV deswegen die Entwicklungen und Trends wie zum Beispiel die Digitalisierung ignorieren würde.  

Wenn es uns hingegen gelingt, auf die bekannten Stärken der Baukarriere zu setzen und die vorhandenen Potentiale zu nutzen, wird «unsere» Baukarriere attraktiver für potenzielle Fachkräfte. Fit für die Zukunft wird die Aus- und Weiterbildung dann, wenn wir als Unternehmerverband mutige, unternehmerische Entscheide treffen und den Schritt in die Zukunft nicht scheuen.  

Interview: Departement Berufsbildung 

Über den Autor

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Schweizerischer Baumeisterverband

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